Einblicke in die Deichsanierung im Hauke-Haien-Koog
Um dem ansteigenden Meeresspiegel etwas entgegen zu setzen, werden in Schleswig-Holstein seit einigen Jahren sukzessive die alten Deiche durch sogenannte Klimadeiche ersetzt. Was sich genau hinter einem Klimadeich verbirgt, haben wir uns mal vor Ort angeschaut.
Ungefähr 2000 Kilometer ist die Küste Schleswig-Holsteins insgesamt lang. Bei uns an der Westküste sind etwa 300 Kilometer mit Schutzdeichen versehen, die das Hinterland vor Sturmfluten schützen sollen. Doch der stetig ansteigende Meeresspiegel zeigt schon jetzt, dass die bisherigen Deiche den kommenden Sturmfluten und dem Klimawandel auf lange Sicht nicht mehr standhalten werden.
In Büsum, Nordstrand und Dagebüll wurden die Deiche in Teilabschnitten bereits verstärkt. Seit einiger Zeit wird auch der Deich im Hauke-Haien-Koog zwischen Ockholm und Schlüttsiel durch einen Klimadeich ersetzt. Da man so ein beeindruckendes Bauwerk nicht alle Tage vor der Haustür hat, haben wir uns das mal genauer angesehen und uns mit Mario Lüönd vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN-SH) getroffen, der uns spannende Einblicke in diese Großbaustelle ermöglichte.
Die Deichverstärkung im Hauke-Haien-Koog
Da wir in Langenhorn leben, ist der Deich im Hauke-Haien-Koog quasi unser Hausdeich, auf dem wir zu Fuß schon viele Kilometer abgerissen haben. Um so faszinierender ist es für uns, dass wir diese einmaligen Einblicke erhalten dürfen. Der Teilabschnitt „Los 2“, den wir heute besichtigen, ist natürlich, wie jede Baustelle, aus Sicherheitsgründen für die Öffentlichkeit gesperrt. Von daher ist es nicht nur ein ungewohntes Gefühl hier seit mehr als einem Jahr wieder entlangzulaufen, sondern es ist in der Tat spannend zu sehen, wie so ein Deich aufgebaut ist. Normal kennt man ihn grün und mit einer Menge Schafen darauf.
Von der Straße aus sieht man zwar, dass Bauarbeiten stattfinden, aber von dem eigentlichen Bauvorhaben ist nicht viel zu sehen, denn der aufwendige Teil findet überwiegend zur Seeseite statt. Aus den Medien wissen wir, dass auch hier ein neuer Klimadeich entstehen soll, aber warum hier und was genau ist das eigentlich?
Ein paar Fakten vorab
Der Hauke-Haien-Koog entstand in den Jahren 1958 bis 1960 durch die Eindeichung von Wattflächen. Er war nicht nur der erste Koog, der nicht nur ausschließlich zur Landgewinnung diente, sondern Teile des Koogs sind auch Speicherbecken, die das Regenwasser vom Binnenland aufnehmen, falls das Regenwasser durch anhaltende Westwinde nicht ins Meer abfließen kann. Was das zur Folge haben kann, haben wir im Beitrag „Wenn der Sturm nicht enden will“ erläutert. Darüber hinaus ist der Koog auch ein wichtiges Brut- und Rastgebiet für viele Küstenvögel.
Im Hauke-Haien-Koog schützt der Deich 1.240 Hektar Land mit rund 150 Einwohnern und Sachwerten von etwa 70 Millionen Euro. Und genau da liegt der Punkt. Erderwärmungen sind kein neues Phänomen. Diese finden schon seit tausenden von Jahren statt und haben für erhebliche Veränderungen in unseren Landschaften gesorgt. Nur mit dem Unterschied, dass die Menschen früher noch Jäger und Sammler waren und damit nicht sesshaft. Kam das Wasser zu nah, dann sind die Menschen mit ihrem Hab und Gut einfach weitergezogen. Das ist heute anders. Wir Menschen sind sesshaft geworden, haben uns etwas aufgebaut und möchten dies natürlich nicht verlieren. Hier kommen die Küstenschützer ins Spiel, die mit ihren Maßnahmen versuchen, das Hinterland vor Sturmfluten und Landverlusten zu bewahren.
Unsere Deiche an den Küsten werden jedes Jahr auf Schäden überprüft. Alle zehn Jahre – bei sogenannten Sicherheitsüberprüfungen – werden die Deichabschnitte genauer unter die Lupe genommen. Da wird bemessen und berechnet, ob eine Verstärkung nötig ist. Hier im Hauke-Haien-Koog war dies der Fall, denn der entsprach nicht mehr den Sicherheitsstandards. Im Falle einer schweren Sturmflut, wie sie alle 200 Jahre vorkommen kann, wurde bemessen, dass mehr als 15 Liter Meerwasser pro Sekunde und Meter über den Deich laufen könnten. Das liegt deutlich über dem Grenzwert und damit wurde der Deich 2012 im Generalplan Küstenschutz als zu verstärkender Deich eingestuft.
Bevor wir uns auf die Baustelle begeben, haben wir uns mit Mario Lüönd vom LKN-SH im Baubüro getroffen. Anhand von Plänen hat er uns erklärt, in welchen Teilabschnitt wir gleich gehen werden und was genau da passiert. In dieser Bauphase wird der Landesschutzdeich nun auf einer Länge von rund 5,7 Kilometern verstärkt. Im Norden wird er auf 8,10 Meter und im Süden auf 8,30 Meter über dem mittleren Meeresspiegel erhöht. Darüber hinaus erhält er das neue Klimaprofil, mit dem er zum sogenannten Klimadeich wird. Aber ehrlich, Pläne sind doch nichts im Vergleich zur Realität. Also ab zur Baustelle.
Was ist so besonders an einem Klimadeich?
In den letzten Jahrhunderten hat man viel aus dem Küstenschutz gelernt. Man weiß, dass steile Wände oder Deiche den Wellen nicht lange standhalten können, weil der Aufprall viel zu stark ist. Daher werden die neuen Klimadeiche nicht nur höher, sondern vor allem auch in der Krone kräftig breiter als ihre Vorgänger. Das Profil zur Seeseite wird flacher sein. Das Verhältnis von Höhe zu Breite beträgt dann nicht mehr 1 zu 6 oder 1 zu 8, sondern in der Regel 1 zu 10.
Das hat den Vorteil, dass die auflaufenden Wellen einen erheblichen Teil ihrer Wucht verlieren, bevor sie die Krone erreichen können. Darüber hinaus erlaubt das neue Profil, den Deich im Fall der Fälle weiter zu erhöhen, indem man ihm eine Art Kappe aufsetzt. Das heißt, auch die nachfolgende Generation hat die Möglichkeit den Deich noch einmal zu erhöhen.
Wie ist so ein Klimadeich aufgebaut?
Wir haben Glück, dass wir auf dem Teilstück von „Los 2“ beinahe jeden einzelnen Arbeitsschritt sehen können. Das Los 2 ist ca. drei Kilometer lang und es ist einfach unglaublich, welche Sand- und Kleimassen allein nur hier auf diesem Teilstück bewegt werden. Mario erklärt uns geduldig jeden einzelnen Arbeitsschritt der nötig ist, um einen Klimadeich zu erstellen.
Ich weiß gar nicht so recht wo ich mit den Erklärungen anfangen soll, denn es gibt so viel auf einmal zu sehen. Fakt ist, dass der Deich schon viel tiefer beginnt, als wir ihn normalerweise sehen. Nämlich bereits im Wattboden.
Um tideunabhängig arbeiten zu können, muss für die gesamte Bauphase ein sogenannter Kajedeich (ein provisorischer Deich) gebaut werden. Dieser wird aus abgetragenem Kleiboden errichtet, der am Ende der Bauarbeiten wieder entfernt wird und als letzte Deckschicht auf den Deich kommt, bevor dort wieder Rasen ausgesät werden kann. Bis dahin passieren aber viele einzelne Arbeitsschritte.
Um überhaupt anfangen zu können, müssen erstmal Deichdurchstiche gemacht werden, damit die Baufahrzeuge und das notwendige Material an den Ort des Geschehens gelangen können. Dann wird der Kajedeich gebaut, um das Nordseewasser von der Baustelle fernzuhalten.
Danach kann mit dem Rückbau und dem Brechen des vorhandenen Deckwerks zur neuen Schottertragschicht begonnen werden. Messeinrichtungen, um mögliche Bodenbewegungen zu realisieren, werden ebenfalls eingebaut. Neben Sand und nochmal Sand – der unter anderem auch von uns aus Langenhorn kommt – werden auch Geogitter zur Stabilisierung des Untergrunds verbaut und jede Menge Holzpfähle, die zur Herstellung des Deckwerks benötigt werden, in den Boden gebracht.
Dann kommt ein spezielles Filtervlies, darauf ein Geröll aus Steinen, das wiederum als eine Art Pufferschicht für die Wasserbausteine dient. Es muss eine Wellenüberschlagssicherung gebaut werden, sowie Deichrampen. Weiter werden Frostschutzsand und eine Schottertragschicht eingebaut.
Das Deckwerk muss mit einem speziellen Verklammerungsmörtel verklammert werden und und und. Nicht nur jede Menge Arbeitsschritte, sondern reichlich neue Begriffe, die wir anhand der Baustelle gelernt haben.
Von Mario erfahren wir, dass nach Möglichkeit viele der alten Baumaterialien wiederverwendet werden. Dazu gehört zum Beispiel nicht nur der alte Kleiboden vom Deich, sondern auch die ehemalige Decke des Treibselabfuhrweges oder auch Wellenüberschlagssicherung genannt.
Auch der Naturschutz kommt nicht zu kurz
Trotz aller Vorsicht sind derartige Küstenschutzmaßnahmen natürlich mit erheblichen Eingriffen in die Natur und Landschaft verbunden, die möglichst wieder ausgeglichen werden müssen. Im Hauke-Haien-Koog hatte der Deich durch absackenden Boden bereits Ausbuchtungen gebildet. Durch die Begradigung kann der Deich nicht nur verkürzt werden, sondern es werden auch ca. zwei Hektar Watt zurückgewonnen.
Dort wo der Sand- und der Kleiboden entnommen werden, bleiben nach dem Abbau riesige Löcher zurück. Als Ausgleich dafür werden auf Flächen in Bordelum, Bosbüll, Ockholm, in den Reussenkögen, Wimmersbüttel und in Lütt Hus Gewässer angelegt, die naturnah gestaltet werden. Wie das aussieht, haben wir uns ebenfalls in Lütt Hus angeschaut. Dort sind einige der Gruben bereits natürlich mit Regenwasser zugelaufen und es haben sich kleine Seen gebildet, die sich die Natur zurückerobern darf.
Auch während der kompletten Bauarbeiten wird regelmäßig überprüft, ob die Naturschutzmaßnahmen eingehalten werden. Und einige Wasservögel, wie zum Beispiel der Austernfischer, scheinen sich nur wenig an dem Baustellenlärm zu stören. Er brütet trotzdem in einem Gebiet, das gerade so unwirklich erscheint. Damit der Bruterfolg gewährleistet ist, werden die Gelege abgesteckt und für die Zeit der Brut darf dort nicht gearbeitet werden.
2023 sollen die Bauarbeiten zum Klimadeich abgeschlosssen und unser Hausdeich und damit auch unsere Heimat für die nächsten Jahre erstmal wieder sicherer sein.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Mario Lüönd und dem Team vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN-SH), die uns die spannenden Einblicke in diese Großbaustelle ermöglicht haben.
6 Kommentare zu „Was nochmal ist ein Klimadeich?“
Wunderschöner blog mit sehr schönen beiträgen
Moin Corin,
vielen Dank. Freut uns, dass dir unser Blog gefällt.
Liebe Grüße von der Küste,
Claudia
Vielen Dank für diese interessante „Fortbilung“!!! Wie schön, dass Ihr das so nah erlebt und davon erzählt für alle, die nicht mal eben an die Küste kommen können. Viele Grüße aus NRW!
Mon liebe Tina
freut uns, dass dir der Beitrag zum Klimadeich gefallen hat. Das waren in der Tat spannende Einblicke.
Liebe Grüße von der Küste,
Claudia
Toller Artikel. Der lag mir auch schon lange auf der Seele. Ich war vor einem Jahr dort und habe jetzt endlich mal meine Eindrücke geschrieben. Und Euch verlinkt. Einfach super beschrieben.
Lieber Gruß ans andere Meer:-)
Kai
Moin Kai,
liebe Dank. Das freut uns, dass dir der Beitrag gefallen hat. Das ist auch in der Tat eine imposante Baustelle, die man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt.
Liebe Grüße zurück,
Claudia