Der Tag fing ja schon ganz vielversprechend an, auch wenn uns der Trubel in Warnemünde nicht ganz so zugesagt hatte. In Nienhagen sollte uns jedenfalls das totale Kontrastprogramm erwarten. Ich sag nur Steilküste und Gespensterwald, wenn das nicht neugierig macht?
Von Warnemünde bis Nienhagen ist es nicht weit. Einfach die Landstraße 12 nehmen, durch Diedrichshagen durch und dann ist man auch schon da. Wir bogen auch gleich in die Straße Richtung Steilküste ab und parkten in einem Neubaugebiet. Wow, bei den Häusern möchtest du die Grundstückspreise besser nicht wissen. Eines pompöser als das andere.
Ungefähr zwei Minuten Fußweg von dort führt eine Treppe die Steilküste runter direkt zum Strand. Und da war es wieder was wir so lieben – ein unberührter Naturstrand, fernab jeglichen Trubels. Yeah! Außer ein paar Anglern war hier wirklich nichts los. Nicht mal Fußgänger kamen uns entgegen. Nur der Strand eingebettet zwischen der Ostsee und der Steilküste.
Die Nachmittagssonne ließ das Blau der Ostsee noch intensiver leuchten und auch die Steilküste erstrahlte in intensiven Ockertönen. Farben, die die Landschaften an der See einmalig machen. Der Blick von meiner Mom und mir fiel natürlich gleich wieder auf den Boden. Das ist der perfekte Strand für Schatzsucher oder für „Gelumpe“ wie mir eine facobook-Freundin näher brachte. 😉
Sogar unsere ersten Donnerkeile haben wir hier gefunden, wenn auch nur Bruchstücke, aber immerhin. Stolz wie Oskar kamen die gleich in den eigens dafür mitgebrachten Jutebeutel. Wie gut, dass ich diesen entweder abwechselnd oder zusammen mit meiner Mom getragen habe, denn wie ihr euch vorstellen könnt, blieb es nicht nur bei den paar Donnerkeilen. So wanderten nach und nach kleine Muscheln (die gab es hier witzigerweise wieder), Strandgut, Steine und sogar ein angespülter Seestern in die Tasche.
Es ist schon witzig was Landschaften so mit einem machen, während man bei dem Trubel in Warnemünde noch das Gefühl hatte, man muss sich irgendwie unterhalten, war das hier ganz anders. Jeder war in sich gekehrt und hat sich dem leisen Plätschern der Wellen ebenso hingegeben, wie dem Farbspiel der Natur. Jeder lief gedankenversunken in eine Richtug, die ihn magisch anzog und fühlte sich frei und zufrieden. Weglaufen ging ja auch so schnell nicht, denn bis zur nächsten Treppe ist es schon ein Stück Fußmarsch.
Total gespannt waren wir auf den Gespensterwald, den ich bisher nur von Bildern kannte. Er besteht zum Teil aus 170 Jahre alten Eichen, Buchen, Hainbuchen und Eschen. Die salzhaltige Seeluft und der Wind haben im Laufe der Jahre pittoreske Verformungen entstehen lassen. Einheimische sollen zu diesem magischen Ort sagen. „Wo der Wind das Gras mäht“. Da die gebogenen Gräser des Waldes permanentem Seewind ausgesetzt sind, scheinen sie immer gleich lang zu bleiben.
So langsam schienen wir uns diesem urwüchsigen Wald zu nähern, zumindest sind die ersten windschiefen Bäume zu erkennen. Und wirklich, die Rinden der Bäume sind kaum wieder zu erkennen. Abgeschliffen und grau, erinnern sie mich total an die Baobab-Bäume aus Afrika.
Oh weh, es lässt sich nicht leugnen, dass die See der Steilküste alles abverlangt. Viele der Bäume hängen schon mehr als windschief an der Steilküste und drohen jeden Moment herabzustürzen. Teilweise lässt sich sogar noch ein alter Weg erahnen, zumindest verraten es einige Sitzbänke, die ebenfalls nicht mehr benutzbar sind. Man könnte sogar sagen, hier sitzt man wirklich in der ersten Reihe bzw. der Boden wird einem förmlich unter den Füßen weggerissen.
Ein Baum hatte es mir sogar besonders angetan, denn nicht nur, dass er eine total kuriose Form hatte und die Wurzeln zum Teil frei in der Luft hingen, man konnte von unten auch die Liebeserklärungen, die dort in den Baum geritzt waren, gut sehen. Die dürften dann wohl auch bald der Vergangenheit angehören.
Bei der nächsten Gelegenheit nahmen wir eine Treppe nach oben, um uns den Wald von Nahem anzusehen. Als erstes fiel einem natürlich der faszinierende Blick über die Ostsee auf. Gerade heute, bei der klaren Luft war es besonders schön, denn wir konnten so richtig weit gucken. Man kann ohne Zweifel sagen, dass die beeindruckende Steilküste mit ihren vielen idyllischen Ecken und dem atemberaubendem Blick auf das weite Meer zu den landschaftlichen Höhepunkten des Ostseebades Nienhagen zählt.
Im übrigen zieht sich durch dieses verwunschene Waldgebiet auch der vielfach ausgezeichnete, an der Ostseeküste verlaufende, „Europäische Rad- und Wanderweg“.
Wir konnten nicht anders und setzten uns für einen Augenblick auf eine Bank, um diesen phantastischen Ausblick zu genießen. Es gibt Momente, die möchte man einfrieren, dieser gehörte gewiss dazu. Irgendwie hatte keiner von uns Lust den Heimweg anzutreten. Doch leider konnten wir es nicht allzulang aushalten, denn müde und ausgehungert wie wir waren, fingen wir schnell an zu frieren. Außerdem lag vor uns noch ein Rückweg von mindestens zwei Stunden Fußmarsch. Ganz zu schweigen von der Heimfahrt, auf die nun wirklich keiner Lust hatte. Warum auch, jeder von uns hat derzeit seine Päckchen zu tragen und die warten zu Hause nur wieder auf dich. Hier dagegen konnte man sie für ein paar Stunden einfach vergessen.
Ein wenig widerspenstig traten wir den Rückweg an. Doch diesen herrlichen Tag kann uns keiner mehr nehmen. Ein wirklich großartiges Landschaftspanorama in einem tollen Licht. So kann das Frühlingserwachen weiter gehen.
Ein Tipp: Der Gespensterwald soll ganz besonders in der Dämmerung seine mystische Gestalt preisgeben.
Übrigens: Die Steilküste in Nienhagen erlebt naturbedingt einen unaufhaltsamen Rückgang. Grund dafür ist das Phänomen steiler Hangneigung bei gleichzeitiger hoher Böschungsstabilität. Zu diesem Typ von Steilküsten zählen auch die Kliffstrecken an der Lübecker Bucht, auf der Insel Poel, dem Fischland Darß sowie der Halbinsel Wittow auf Rügen. Ein wirklich beeindruckendes, aber auch trauriges Naturereignis!