Wie aus „lass mal gucken“ schon fast eine Verfolgungsjagd wurde…
Der Nord-Ostsee-Kanal (NOK) ist weit mehr als nur die kürzeste Verbindung zwischen Nord- und Ostsee. Er ist Lebensraum für zahllose Tiere und Pflanzen, die in diesem künstlich erzeugten Areal eine neue Heimat gefunden haben. Die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt ist Ausflugsziel für zahlreiche Radler, Spaziergänger, Fischer, Wassersportler oder Schiffsspotter – zu denen wir heute ein wenig zählten. Als wir an der Schleuse in Brunsbüttel starteten, entdeckten wir ein Kreuzfahrtschiff, welches noch recht weit draußen auf Reede lag. Da ahnten wir noch nicht, dass uns das Schiff noch eine Weile begleiten würde.
Brunsbüttel ist als Hafen- und Schleusenstadt an der Elbe bekannt und bietet eine Menge Attraktionen, die sicherlich nicht nur Schiffsfans hierher lockt. Trubel und Touristenströme sind keine Seltenheit, während der eigentliche Kanal irgendwie verträumter und beschaulicher wirkt. Vom Brunsbütteler Deich aus kann man über den Mündungstrichter der Elbe blicken und den großen Schiffen aus Hamburg nachschauen, bis sie am Horizont verschwinden. Und das taten wir nun auch, raus aus dem Trubel und rein in die Kanalidylle.
Wir machten uns in Richtung Kudensee auf, das liegt etwa fünf Kilometer nordöstlich von Brunsbüttel direkt am NOK. Wie viele kleine Ortschaften am NOK ist auch die Geschichte von Kudensee eng verbunden mit eingreifenden wasserwirtschaftlichen Veränderungen. Das Gemeindegebiet wurde mit dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals durchschnitten. Torftransporte wurden um 1700 nun auf dem Wasserwege vom Kudensee u. a. nach Brunsbüttel durchgeführt. Dies geschah mit dem „Kudenseer Kahn“, ein neun Meter langer Lastkahn, der bis zu 7000 Soden Torf fasste. Hier setzten wir mit der Kanalfähre „Stettin“ rüber nach Averlak. Natürlich nicht ohne einen ausgiebigen Stopp, um zu gucken, ob Schiffe kommen. Doch weit und breit kein Schiff in Sicht.
Unser Weg führte uns weiter durch die Wilstermarsch, eines der ältesten Landschaften der Westküste und „Land unter dem Meeresspiegel“. Die Wilster Marsch ist eingebettet zwischen Stör, Elbe und dem Nord-Ostsee-Kanal. Wir fuhren vorbei an Mühlen, kleinen Warften mit imposanten Reetdachhäusern und natürlich an der tiefsten Landstelle Deutschlands in Richtung Ecklak. Ein ganz schmaler Weg, gesäumt von Feldern und Höfen, schlängelt sich wieder in Richtung Kanal. Auch wenn es kitschig klingt, aber es ist wirklich schön hier. Gerade mal ein Angler, der sich auf den Heimweg machte, kreuzte unseren Weg, von da an waren wir allein am Kanal.
Das Tuckern der Dieselmotoren ist wie Meditation
Als Stadtmenschen, wenn auch Kleinstadt, sind wir immer dankbar für Plätze, an denen die Ruhe vorherrscht und wir den Alltagsstress und -lärm hinter uns lassen können. In dieser Stille hatte das Tuckern der Dieselmotoren vorbeifahrender Schiffe schon etwas Meditatives an sich. Und dann staunten wir nicht schlecht, als wir in Richtung Kudensee zurückblickten, entdeckten wir am Horizont, Höhe der Brunsbüttler Brücke, das Kreuzfahrtschiff aus Brunsbüttel wieder.
Gegen die Sonne war leider nicht zu erkennen, um was für ein Schiff es sich handelte. Nur ganz langsam bewegte es sich in unsere Richtung, bis es sogar ganz zum Erliegen kam. Die Neugier, um was für ein Schiff es sich handeln könnte, war bei uns auf alle Fälle geweckt. Blieb nur die Frage, warten oder entgegen gehen? Für den Moment hofften wir noch, dass sich das Schiff wieder in Bewegung setzte und warteten. Wir begnügten uns mit den vorbeifahrenden Containerschiffen.
Endlich angekommen, lüftete sich das Geheimnis. Vor uns lag die „Prinsendam“, ein in der Wärtsilä-Werft in Turku/Finnland als Royal Viking Sun für die Royal Viking Line gebautes Kreuzfahrtschiff. Sie fährt für die Holland-America Linie mit Sitz in Seattle. Bei dem überwiegend amerikanischen Publikum trägt sie den Spitznahmen „Elegant Explorer“.
Aufgrund der Sonnenlage konnten wir das Schiff von diesem Punkt aus nur von hinten fotografieren, was natürlich auf der einen Seite schade, auf der anderen aber den Ehrgeiz weckte. So setzten nicht nur wir uns in Bewegung, sondern auch die Prinsendam, nachdem sie etliche Schiffe vorbei ziehen lies. Im Stechschritt sind wir den Weg zurück zum Auto, immer in der Hoffnung, das Kreuzfahrtschiff noch an einer anderen Stelle von vorne ablichten zu können. Die Verfolgungsjagd zu Fuß und per Auto stellte sich als eine aufregende, aber schweißtreibende Sache dar.
Auf jeden Fall mussten wir den Kanal unbedingt wieder überqueren, damit wir die Sonne im Rücken hätten. Die nächste Gelegenheit dazu war in Hochdonn. Was uns natürlich absolut in die Karten spielte war, dass die Schiffe im NOK nicht schnell fahren dürfen. So konnten wir auf dem Weg über die Dörfer in Richtung Hochdonn die Prinsendam immer im Blick behalten. Das Wahrzeichen von Hochdonn ist übrigens die zweigleisige Eisenbahnhochbrücke. Die 2.218 Meter lange Gitterfachwerkkonstruktion prägt mit ihren Rampen und Fachwerkgittern die Kulturlandschaft im Übergangsbereich von Marsch zur Geest.
Wir nutzten die Fähre, um an das andere Ufer zu kommen. Traumhaft, es ist uns wirklich geglückt das Kreuzfahrtschiff noch einmal von vorne zu fotografieren. Mittlerweile waren wir auch nicht mehr die Einzigen. Die großen Schiffe ziehen jede Menge Menschen in ihren Bann und so füllte sich in der Nähe der Fähren der Kanal mit immer mehr Schaulustigen. Aber alles kein Vergleich zu Brunsbüttel.
Wir fuhren selber noch ein kleines Stückchen am Kanal entlang. Unser letzter Stopp vor dem Heimweg war in Hohenhörn. Ein niedlicher kleiner Ort am Kanal. Hier gibt es eine Pension mit Café und Biergarten, das „Kanal 33„. Bei schönem Wetter wie heute, kann man hier prima draußen sitzen und das Flair so richtig genießen. Einfach großartig. Hier entstand nicht nur das letzte Foto der Prinsendam, sondern es endete auch unsere kleine Verfolgungsjagd.
Der Nord-Ostsee-Kanal gehört zu Schleswig-Holstein, als wäre er schon immer ein Teil davon gewesen, die Lebensader zwischen Nord- und Ostsee und eine eindrucksvolle Kulisse für den Weltverkehr, der von jedermann hautnah erlebt werden kann. Der NOK ist Wirtschaftsfaktor, Arbeitsplatz und Touristenattraktion in einem und eine perfekte Kulisse, sich beim Gucken der Giganten in Fernweh zu schwelgen.
Wie viel Fernweh die stummen Blicke auf die Schiffsgiganten dieser Welt begleiten, wird wohl immer ein Geheimnis jedes einzelnen Besuchers bleiben.